Smells Like Teen Spirit

I’m worse at what I do best
And for this gift I feel blessed
Our little group has always been
And always will until the end*

Manchmal weiss man gar nicht warum. Da wacht man morgens auf und hat dann auf einmal und in dieser Zeit dieses Lied im Ohr, das man weder vor dem Zubettgehen noch irgendwann sonst in den letzten Monaten, vielleicht sogar Jahren bewusst gehört hat. Und weil man dieses Lied an diesem Morgen nicht mehr los wird und weil man jetzt nicht an die ebenfalls seit Jahren nicht mehr angefasste und eingestaubte Plattensammlung gehen will, um dieses Lied zu suchen und um es zu hören, lädt man sich dieses Lied auf sein Handy herunter, schiebt die Stöpsel in die Ohren und ist überrascht, wie viel Kraft dieses Lied auch nach zwanzig Jahren noch hat, und ist überrascht, dass dieses Lied passt, es in diese Zeit passt, auch wenn man noch gar nicht so genau weiss warum.

„Smells Like Teen Spirit“ wurde am 10. September 1991 auf dem Album „Nevermind“ der seinerzeit weitgehend unbekannten Grunge-Band Nirvana veröffentlicht. Die Plattenfirma brachte insgesamt 40.000 Kopien weltweit in die Plattenläden und wurde von dem sich bald einstellenden enormen Erfolg total überrannt, Anfang Dezember waren allein in den USA bereits 1.000.000 Kopien verkauft, Anfang Januar 1992 verdrängte „Nevermind“ Michael Jacksons „Dangerous“ von der Spitze der US Album Charts und verkaufte sich weltweit und bis heute noch viele, viele weitere Millionen mal.

Ich hatte 1991 unter anderem „Mudhoney“ auf dem Plattenteller und auch ein, zwei Nirvana Songs aus der vor Nevermind-Epoche auf irgendeinem Indie-Sampler, die mich nicht sonderlich beeindruckt hatten, und war später überrascht von der Wucht von „Smells Like Teen Spirit“, aber noch mehr überrascht, dass dieses Lied auch in Deutschland alle Dämme brach, ja, noch erfolgreicher war als in anderen westlichen Ländern, und es bis auf Platz 2 der Single Charts schaffte. Die Charts 1992, das waren Genesis, Richard Marx, Queen, Boyz II Men und Sir Mix A-Lot – vielleicht nicht ganz so furchtbar wie heute, aber dennoch unvorstellbar, dass es ausgerechnet dieses zornige, laute Stück Punkmusik schaffen würde, sich durch den üblichen, geschmacklichen Einheitsbrei bis fast ganz nach oben zu fräsen.

Was war der Grund dafür?

Sonic Youth wurden Anfang der 90er Jahre auf Nirvana aufmerksam, empfahlen die Gruppe ihrer Plattenfirma Geffen, die „Nevermind“ dann auch tatsächlich produzierten. Der Legende nach hatte Geffen Ende 1991 noch reichlich Mittel im Marketingjahresbudget übrig, mehr als sie bis zum Jahresende unter normalen Umständen noch verbrauchen würden und überwies deshalb fast gleichgültig, Plattenfirmen hatten damals CD-bedingt noch viel Geld, einen dicken Batzen an MTV, welche „Smells Like Teen Spirit“ daraufhin auf Heavy Rotation setzten, worauf sich der Erfolg der Single und des Albums quasi automatisch einstellte. Das war eine Erklärung, mit der ich mich damals zufrieden gab, da man, wenn mann Mitte Zwanzig ist und hormongeplagt, drängendere Fragen dringlicher beantworten muss.

Heute, im Abstand von 20 Jahren erscheint mir diese Erklärung nicht mehr als ausreichend – sicher, MTV war Anfang der Neunziger auf dem Höhepunkt seiner Marketingmacht, war das weltweite Zentralorgan der Popmusik, das Stars machen oder auch zerstören konnte, je nachdem, wer wie viel zahlte. Aber andere Plattenfirmen hatten damals auch ein dickes Marketingbudget, buchten auch Heavy Rotation und verkauften zum Zeitpunkt des Erscheinens ihrer Singles vielleicht sogar noch viel mehr Kopien, dennoch haben sich diese Singles nicht in das Gedächtnis und Bewusstsein einer ganzen Generation eingegraben, sind längst vergessen und haben auch nicht diese Crossover-Wirkung erzielt, von der die taz erst kürzlich und treffend schrieb, dass 1991 auch die Hausfrauen anfingen, Punkmusik zu hören. Der Erfolg von „Smells Like Teen Spirit“ lässt sich eben nicht allein durch die (damalige) Allmacht der Plattenkonzerne erklären, sondern nur dadurch, dass dieses Lied auf besonders fruchtbaren Boden fiel, dass dieses Lied ohne es zu wissen förmlich herbeigesehnt wurde von einer Generation, die man Generation X nennt, da sie für nichts stehen würde oder, schlimmer noch, Generation Golf heisst, die dem Hedonismus frönt und den von den Eltern erarbeiteten Wohlstand geniesst, und die meine Generation ist.

Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, den Gründen für den Erfolg von „Smells Like Teen Spirit“ speziell in Westdeutschland nachzuspüren. In anderen Ländern mögen ähnliche Gründe ausschlaggebend gewesen sein, über die ich aber nicht schreiben kann, da ich nicht in anderen Ländern aufgewachsen bin, wie auch nicht in Ostdeutschland, deren damalige Jugend noch eine mir gänzlich fremde Sozialisation durchlaufen haben musste. Der Versuch bleibt Versuch, erhebt keinen Anspruch auf irgendeine Gültigkeit und bedient sich in seinem Versuchen einiger Begriffe, wie beispielsweise dem der „Generation“, die per se vollkommen blödsinnig sind, da es so etwas, wie eine kohärente Generation im sozialen Sinne eigentlich gar nicht gibt, genausowenig wie „das Lebensgefühl einer Generation“, was auch eine Begrifflichkeit ist, die nach dem Lesen am besten ganz schnell vergessen werden sollte, da Begrifflichkeiten dieser Art Kategorisierungen sind oder beinhalten, und Kategorien immer gefährlich sind – aber auch immer einen unschätzbaren Vorteil haben, sie erleichtern das Denken, was nicht immer aber doch manchmal nützlich ist.

Es werden wohl die Wenigsten widersprechen, wenn sie lesen, dass der gesellschaftliche Konflikt, der für die Bundesrepublik Westdeutschland am prägendsten war, ein Generationenkonflikt gewesen ist, genauer gesagt ein Konflikt zwischen der Generation der Täter, die während des sogenannten Dritten Reiches Verantwortung trugen und mal mehr oder weniger Schuld an den Verbrechen dieses Regimes auf sich geladen hatten, und der Generation ihrer Kinder, den sogenannten 68ern, welche zwischen 1940 und 1950 geboren, sich mit erwachendem politischen Bewusstsein gegen einen ihrer Meinung nach verkrusteten Staat empörten, der nach dem Kriegsende von Eliten aufgebaut und gestaltet wurde, die nicht selten schon dem alten Regime, Nazideutschland, treu gedient hatten und auch nicht selten, während des Regimes sich an „arisierten“ Vermögen und Unternehmen billig gütlich taten und ihr unter dem Hakenkreuz zusammengerafftes Eigentum nach Kriegsende auch „zum Wohle“ der jungen Republik behalten und einsetzen durften. Diese Empörung, auf die der Staat zunehmend humorloser reagierte, begann als Studentenprotest, als Happening, wurde zur Ausserparlamentarischen Opposition, solidarisierte sich mit allen Unterdrückten und Entrechteten der Welt, kulminierte in seiner schärfsten Zuspitzung im Deutschen Herbst, da eine Handvoll Terroristen den deutschen Staat frontal herausforderten, der seinerseits von zwei ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, Helmut Schmidt und Horst Herold, erfolgreich und folgenreich verteidigt werden konnte, wurde Öko- und Abrüstungsbewegung, wurde Partei, wurde Innerparlamentarische Opposition und trat 1998 auch auf Bundesebene in Regierungsverantwortung ein. So weit und in aller Kürze, die zugegebenermassen nicht vollständigen Eckdaten eines gesellschaftlichen Prozesses, der fast drei Jahrzehnte in Anspruch nahm und dessen eigentlicher und grundlegender historischer Fixpunkt immer der Zweite Weltkrieg blieb, der durch den Kalten Krieg verlängert wurde, da gerade die durch den Zweiten Weltkrieg fest gefügten Machtblöcke und -strukturen in ihm einen soliden Bestand hatten und so einen idealen und anhaltenden Nährboden auch für diesen Konflikt bereitstellten.

Ein Konflikt, der besonders in den Anfangsjahren und über Mogadischu hinaus von beiden Generationen und von Teilen der Presse als Sprachrohre dieser Generationen mit äusserster Vehemenz geführt wurde, das öffentliche Leben massgeblich prägte und der eigentlich von einem jeden – Stichwort Radikalenerlass – in der damaligen Zeit eine Erklärung verlangen konnte, wie er es denn mit seiner politischen Überzeugung hielte, ob er für oder gegen die Verfassung, für oder gegen das System, für oder gegen die Revolution eintreten würde. Rückblickend kann man den Eindruck gewinnen, die ganze Geschichte der Bundesrepublik Westdeutschland reduziert sich fast ausschliesslich auf das Ringen dieser beiden Generationen, was natürlich, wie eingangs bereits formuliert, Blödsinn ist, da sich Vertreter beider Lager in beiden Generationen fanden, andere Bürger auch damals unpolitisch blieben und die Bevölkerung Westdeutschlands natürlich nicht aus nur zwei Generationen bestand und es gerade 1968, zu Anfang des Konflikts, eine weitere Generation gab, die in besonderem Masse von ihm betroffen war, jene, die zwischen den Jahren 1932 und 1943 geboren wurden, die in Teilen zu den sogenannten Weissen Jahrgängen (1929-1937) gehörten, die weder in der Wehrmacht noch in der neu formierten Bundeswehr gedient hatten, die zu jung waren, um wirklich zur Generation der Täter gerechnet zu werden, und zu alt, um Mitglieder der Alterskohorte der 68er zu sein, die sich im Laufe der 60er Jahre an den Universitäten politisierte, als sie, die Generation dazwischen, bereits Familien gründete und zwischen 1960 und 1968 Kinder in die Welt setzte, die Anfang der Neunziger Jahre dann bei MTV einem kleinen blonden Mann dabei zusehen sollten, wie er während einem der rotzigsten und zugleich einfachsten Gitarrensoli der Musikgeschichte seelenruhig eine neue Saite auf seine Gitarre aufzog, statt dieselbe in Glam-Metal-Manier mit verbissenem Gesichtsausdruck als Phallus-Symbol vor sich hin und her zu schwenken.

Keiner weiss mehr, wann und wo genau dieses schwarze Virus einen mehr oder weniger grossen Teil auch weisser DNA aufnahm, die seine ohnehin schon beträchtlich grosse Infektiosität noch gehörig steigerte, ob es in den Sümpfen Louisianas, dem Mississipi-Delta oder doch in den grossen Industriestädten im Nordwesten der USA war, als der schwarze Rhythm’n Blues die bestehende Rassentrennung zumindest musikalisch überwand, indem er Elemente der Countrymusik in sich integrierte, somit auch für junge weisse Ohren eingängiger wurde und so weisse, aber auch immer mehr schwarze Musiker die Jugend Amerikas mit dem infizierten, was man dann Rock’n Roll nannte. Das Epizentrum dieses Bebens, das Zentrum des Urknalls wird sich nicht mehr ausmachen lassen, wenn auch der Zeitpunkt dieses Ereignisses sich ungefähr in die Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts datieren lässt, als die sich im Blues ausgedrückte, gleichsam seit Jahrhunderten unterdrückt glimmende Trauer förmlich explodierte, sich in ihr äusserstes Gegenteil verkehrte, und in den USA auf eine Jugend traf, die bereits im Vorfeld der Geburt des Rock’n Rolls ein bis dato unbekannt rebellisches Wesen zeigte, der die Erwachsenen mit Unverständnis begegneten und ihr unterstellten, sie seien Rebellen ohne Grund, denn sie wüssten nicht, was sie tuen, und die auch selbst den Grund nur zu ahnen schienen, ihn nicht wirklich artikulieren konnten und deshalb gerade in dieser Musik ihren einzig möglichen und sprachlosen Ausdruck fanden. Nie war Amerika grösser als in der historischen Sekunde nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, als seine Soldaten siegreich aus einem Krieg heimkehrten, in dessen Verlauf sie nicht nur die Schmach von Pearl Harbour getilgt sondern auch mit Asien und Europa die halbe Welt im Namen der Freiheit von staatlichem Terror befreit hatten. Das Amerika in diesem historischen Augenblick kurz vor McCarthy und kurz vor dem Kalten Krieg war eine Verheissung, wie sie grösser nicht sein konnte, denn die Soldaten, die ausgezogen waren als die Soldaten einer durch die Grosse Depression gebeutelten Nation, kehrten heim als die Soldaten einer neu erwachten Supermacht, die moralisch unbefleckt und durch die Beherrschung der Kraft der Atome auch technologisch führend, Amerika nicht nur einen Weltkrieg sondern auch eine goldene Zukunft gewonnen hatten. So jedenfalls könnte es die Generation Rock’n Roll damals gesehen haben, die zwischen den Jahren 1932 und 1939 geboren, zu jung waren, um noch eingezogen, um noch aktiver Teil des amerikanischen Triumphes zu werden, der durch ihre Väter und älteren Brüder erfochten, und die, durch ihre späte Geburt um ihren aktiven Anteil an Amerikas neuer Grösse betrogen, nun ahnten, dass sie niemals eine eigene amerikanische Zukunft werden gewinnen können, da diese immer schon gewonnen worden war.

Stand die amerikanische Generation dazwischen im erdrückenden Schlagschatten ihrer Väter, fiel auf ihre deutschen Altersgenossen auch und gerade im Elend von Nachkriegsdeutschland ein mildes Licht, denn ihre Väter, die hoffnungsvoll und euphorisch besoffen in einen Krieg gezogen waren, der nicht nur die Demütigung von Versailles, die Schmach ihrer Väter, rächen sondern auch dem Reich und damit ihren Kindern und Kindeskindern eine tausendjährige Zukunft gewinnen wollte, kehrten geschlagen heim, und hatten nicht nur alles gewagt sondern waren in ihrem Wagnis oft auch bis über die Grenzen jeder Menschlichkeit gegangen. Eine Gewissheit, die anfangs beharrlich totgeschwiegen, sich dennoch unendlich langsam und zäh durchsetzte, und die diese Generation der Väter neben dem geschichtlichen Versagen auch mit einer moralischen Versehrtheit zeichnete, welche die Generation dazwischen der Verpflichtung enthob, sich ebenfalls wie ihre Väter gegen eine vermeintlich erlittene Schmach aufzulehnen und die stattdessen fast ahnungslos begriffen, dass sie in ihrem Land nur gewinnen konnten, was ihre Väter verloren, da dieses Land durch die Geschichte, durch zwei verlorene Weltkriege, so durchgeschüttelt worden war, wie eine Schneekugel durchgeschüttelt sein kann, wenn ihre Flocken sich nach einem heftigen Sturm langsam setzen und dann gänzlich neu verteilen, wie eben Zukunftschancen sich neu verteilen, wenn die Generation ihrer Väter die tausendjährige Zukunft so gründlich und niederschmetternd und gottseidank verloren hatten. Die Generation dazwischen schaute nicht zurück, denn ihr Zurück war ein Jetzt, war Hunger, war Trümmer, war Not, die überwunden werden musste. Die Generation dazwischen reflektierte nicht das Gestern, sie eroberte sich ein offenes Morgen ohne Waffen, das Reflektieren überliess sie einer anderen, nachfolgenden Generation – den 68ern.

Jeder, der heute in den Vierzigern und in Westdeutschland in die Schule gegangen ist, wird zwangsläufig mehreren dieser Spezialisten begegnet sein, den 68er-Lehrern oder ihren Nachfolgern, den Spät-68er-Lehrern. Die Schule in den 80ern war der Ort an dem die ersten beiden echten westdeutschen Nachkriegsgenerationen, deren Geburtenjahrgänge mit ungenauer Schärfe Ende der 50er Jahre getrennt werden müssen, aufeinander trafen und sich aneinander abarbeiteten. Die Generation der Kinder der Generation dazwischen, die wiederum zu jung waren, um irgendeinen Anteil an der 68er-Bewegung gehabt zu haben, und die Generation der 68er sowie ihrer Adepten, der Spät-68er, die für sich in Anspruch nahmen, die Gesellschaft zum Besseren verändert, den Sex revolutioniert, die Universitäten entstaubt, die Frauen befreit zu haben, und die sich nun daran machten, die Umwelt zu retten, die Atomkraft zu stoppen, die erste Welt abzurüsten und die dritte Welt in Eine-Welt-Läden zu vermarkten. Die Kinder der Generation dazwischen wurde in diesem Sinne zu einer Generation danach, eine Generation nach dem grossen gesellschaftlichen Konflikt, der Ende der 60er Jahre seinen Anfang nahm und ebenso, wie ihre Eltern nicht mehr kämpfen mussten im grossen Krieg, waren sie zu spät gekommen für diesen grossen gesellschaftlichen Konflikt, der deshalb und auch noch aus einem anderen Grund nicht ihr originärer Konflikt war: denn die Rebellion der 68er war nicht nur eine gesellschaftliche, sie war immer auch ein familiäre Rebellion – die Rebellion der Generation danach hingegen war immer nur eine gesellschaftliche und niemals eine familiäre, da sie ihren Eltern schlichtweg nichts vorwerfen konnten, was über westdeutsches Mitläufertum und Wirtschaftswunder hinausging. An den Schulen in den 80ern sozialisierten die 68er eine Generation, denen diese familiäre Betroffenheit fehlte und die deshalb auch in einem besonderen Spannungsfeld zu ihrer Lehrergeneration stand, da sie zwar keinen Grund hatten, gegen ihre Eltern zu rebellieren aber sehr wohl diffus fühlten, gegen diese Generation ihrer Lehrer rebellieren zu müssen, nicht nur da diese ihnen gar keinen Platz mehr zur eigentlichen Rebellion gelassen, vielmehr auf sämtliche gesellschaftlichen Errungenschaften schon ihr Copyright geklebt hatten, sondern auch weil diese 68er-Bewegung in den 80ern schon längst versandet, schon längst zur Pose erstarrt war und die Generation danach deren schulischen Protagonisten in den Bildungsanstalten interessiert dabei zusehen konnten, wie sie sich zwar im üblichen Weltverbesserungs-Habitus gerierten aber dennoch ein armseliges Schulsystem in aller Konsequenz durchsetzten, die Vorgaben von Schulämtern und Kultusministerien an ihren Schülern exekutierten und deren Zukunftschancen somit selektionierten. Das waren die 68er-Lehrer, wie sie die Generation danach an den Schulen vorgeführt bekam: verbeamtete Revolutionsveteranen in Norwegerpullis und Birkenstocklatschen, die ihren 2CV auf dem Schulparkplatz parkten, ab und an von ihrem Indien-Trip oder aus APO-Zeiten, also ihrer revolutionären Jugend, schwadronierten – ganz so wie Opa von Stalingrad – und die sich für ihren persönlichen Marsch durch die Institutionen die Bildungsanstalten mit 11 Wochen Ferien ausgesucht hatten, denn schliesslich und endlich muss man ja auch mal Urlaub machen von der Revolution. Man kann sich ausmalen, dass diese Lehrer bei ihren Schülern, den Kinder der pragmatischen Generation dazwischen, die auch die skeptische Generation genannt wird, da sie sich aufgrund ihrer Erfahrungen in der Kriegs- und Nachkriegszeit einer politischen Aufladung grösstenteils entzog, einen durchaus zwiespältigen Eindruck hinterliessen, da diese Lehrer zum einen ein Gutteil ihrer Identität aus ihrer Auflehnung gegen den Staat bezogen und zum anderen diesem Staat, seinen Kultusministerien, das in Baden-Württemberg – Treppenwitz der Geschichte – zwischen 1980 und 1991 ausgerechnet von Gerhard Mayer-Vorfelder, einem konservativen Hardliner, verantwortet wurde, eilfertig mit ihren Rotstiften dienten.

Als die Büchse der Pandora Mitte der 50er Jahre sich das erste Mal öffnete und ihr der Rock’n Roll entwich, war dieser von Anfang an pandemisch, infizierte er von Anfang an die Jugend der Welt, und war gerade deshalb auch von Anfang an kommerziell und politisch. Kommerziell, da er aufgrund seiner Beliebtheit den Plattenfirmen und Musikproduzenten traumhafte Profite versprach und politisch nicht aufgrund der gesungenen Texte, die zumeist harmlose Liebeslieder waren, gelegentlich gespickt mit der einen oder anderen sexistischen Andeutung, sondern weil diese „Negermusik“ in den Ohren des weissen amerikanischen Kleinbürgers der 50er Jahre der Sex selbst war, der seine Ängste vor dem omnipotenten schwarzen Mann fast hysterisch werden liess und natürlich die Rebellion und Respektlosigkeit der damaligen Jugend stark befeuerte, was im Kontext des Kalten Krieges – der Koreakrieg war im Juli 1953 unrühmlich zu Ende gegangen – nicht nur von staatlichen Stellen der USA (In den USA bestand damals noch die Wehrpflicht) mit Sorge gesehen wurde. Ende der 50er zeitigte ein allgemeiner gesellschaftlicher Feldzug von staatlichen und u. a. religiösen Institutionen Erfolg, der Rock’n Roll wurde geächtet und galt einer breiten Öffentlichkeit als verpönt. Führende Vertreter des Rock’n Rolls widmeten sich um, spielten nur noch Countrymusik oder stark weichgespülten Rock’n Roll, studierten Theologie (Little Richard), kamen bei Unfällen ums Leben (u. a. Buddy Holly, Ritchie Valens, Eddie Cochran), wanderten aus (Gene Vincent) oder wurden wie Elvis Presley 1958 zum Wehrdienst eingezogen, aus dem er 1960 als angehende Witzfigur wieder entlassen wurde. Aber weil ein Virus sich nun einmal nicht verbieten lässt, war die eingekehrte Ruhe in den Vereinigten Staaten und in der Welt nur von kurzer Dauer, der Rock’n Roll hatte nämlich den grossen Teich bereits überwunden, war in Grossbritannien nicht auf taube Ohren gestossen und brauchte nicht lange, bis er in erneuerter Form, die man im damaligen Bräsig-Deutsch „Beatmusik“ nannte, Anfang der 60er Jahre in die USA reimportiert wurde, wo er wieder den bekannt pandemischen Effekt zeitigte, und sich diesmal aber nicht mehr politisch eindämmen liess sondern mehr und mehr selbst zum politischen Kampfinstrument einer Gegenkultur, zum Protestmittel einer nun zunehmend politisierten Jugend, den so genannten 68ern, wurde.

Das Virus erhielt sich seine immense Infektiosität, ja vermochte sie sogar immer wieder zu steigern, da seine Mutabilität, seine Fähigkeit sich zu wandeln und sich den Generationen anzupassen, in all den Jahren ungebrochen hoch war. So wurde aus Rock’n Roll Beat, aus Beat Rockmusik, aus Folk Folkrock, aus Rockmusik Hardrock oder Glamrock und aus Hardrock Metal – um nur einige wenige Spielarten dessen zu nennen, was da einst aus Pandoras Büchse kroch. Auch wenn kaum jemand den Überblick behalten dürfte über die unzähligen Stile, Genren und Sub-Genren, in welche sich der Rock’n Roll im Laufe der Zeit differenziert und zersplittert hat, so lässt sich eine Grundströmung, die in all seinen Epochen immer wieder gleich war, dennoch deutlich aufzeigen. Immer dann, wenn der Rock’n Roll in Gefahr war, blosser Kommerz oder hohe Kunst zu werden; in Gefahr war, seine ursprünglich einfache, rohe und anarchistische Seele – den Sex – zu verkaufen oder zu verlieren; immer dann, wenn die Gefahr bestand, dass das Geld oder die Konzeptalben, die Rockopern, die Rockoperettendiven und die Kaugummi-Gitarren, die immer längere und klebrigere Fäden zogen, drohten, diese Seele zu zerstören, provozierten sie eine Gegenreaktion, die dem Rock’n Roll über die Jahre hinweg eben diese Ursprünglichkeit bewahren wollte und konnte. Denn von Anfang an schien es zwei Formen dieser Musik zu geben, eine rohe, wütende und unangepasste – und eine liebdienerische oder auch hochfahrende, die mehr sein, die über eben diese Rohheit hinaus wollte, entweder um sich einen grösseren Kreis an zahlenden Anhängern zu generieren, also auch jene einzufangen, die von der rohen, ursprünglichen Form eher abgestossen wurden, oder um diese Rohheit gleichsam zu ziselieren, sich auf ihrem Fundament eine eigene Kunstform zu erschaffen.

Das ungleiche Brüderpaar fand in den 50er Jahren seinen ersten Ausdruck in dem Gegensatz zwischen dem entschärften und anbiedernden Rock’n Roll von Paul Anka oder Pat Boone und dem einfachen, rohen Sun Rockabilly, der Wildheit des jungen Elvis Presley oder der Musik von Eddie Cochran und Bo Diddley. Der Gegensatz wurde fortgesetzt durch die Entwicklung der „Beatmusik“, die, und zwar in dieser Reihenfolge, erst durch den Rock’n Roll und dann durch den Blues der 40er Jahre inspiriert wurde, und zunächst eher einfach strukturiert war, bis deren herausragendsten Vertreter, wie die Beatles, die Beach Boys und auch The Who sich später, gegen Ende der 60er Jahre, einen Wettkampf boten, um das künstlerisch wertvollste Konzeptalbum oder die abgefahrenste Rockoper, einen Wettkampf, bei dem die Rolling Stones mit ihrem Beitrag, dem Album „Their Satanic Majesties Request“ nicht mithalten konnten und vielleicht auch gerade deshalb Keith Richards zu einem Vorbild der späteren Punk-Bewegung wurde, die sich in den 60ern als Gegenbewegung zu diesem künstlerischen Wettkampf bereits durch die Stooges oder die MC5 ankündigte, die Anfang der 70er u. a. durch die New York Dolls ergänzt wurden, bis ab Mitte der 70er, als Gruppen wie Led Zeppelin, Pink Floyd und Queen den Mainstream dominierten, der Punk mit seinen namhaftesten damaligen Vertretern, den Ramones, den Sex Pistols und The Clash die Bühne betrat. Laut Joey Ramone hatten sie dazu ihre ganz eigene Motivation: „Als wir im März ’74 begannen, geschah das, weil die Bands, die wir liebten, der Rock’n Roll, den wir kannten, verschwunden waren. Wir spielten Musik für uns selbst.“

Der Rock’n Roll, die Gegenkultur, so wie die Ramones sie kannten und liebten, war verschwunden, weshalb nicht nur sie sich entschlossen, ihren eigenen Rock’n Roll zu spielen und somit ihre eigene Gegenkultur zu gründen, indem sie Rock’n Roll spielten gegen den damals aktuellen Bombastrock, gegen die verkopfte Konzeptmucke und damit Teil einer Tradition des Rock’n Rolls wurden, die schon immer eine Gegenkultur zu der Gegenkultur bildete oder genauer noch: ihre Gegenkultur in der Gegenkultur schuf. In den folgenden Jahren nach der Geburt des Punk expandierte das R’n’R-Universum in rasender Geschwindigkeit immer weiter und weiter und es etablierte sich abseits des bald einsetzenden New-Wave-Pop-Marketinggequatsches etwas, das man Independent-Musik oder Indie-Rock nannte, was wohl eher ein Sammelbegriff für eine Art Musik ist, die anfangs von mehr oder weniger unabhängigen, kleinen Plattenfirmen produziert wurde und die mehr oder weniger durch den Punk beeinflusst war und an der die grossen Konzerne aufgrund der zumeist geringen Verkaufszahlen mehr oder weniger Interesse zeigten.

Betrachtet man oder auch frau sich das Personaltableau der derzeitigen Spitzenpolitiker auf Bundesebene der Parteien, die in einer westdeutschen Tradition stehen, also die Damen und Herren der CDU/CSU, wie Merkel, Kauder, Schäuble, von der Leyen, Schröder, Pofalla, Röttgen, Seehofer, Friedrichs und den achtköpfigen, engeren Parteivorstand der SPD, ergänzt um die Hoffnungsträger Steinmeier und Steinbrück, sowie das Führungsquartett der Grünen, die Damen und Herren Trittin, Özdemir, Roth und Künast, so fällt auf, dass nur zwei dieser 23 SpitzenpolitikerInnen der Generation danach zugerechnet werden können, und zwar Norbert Röttgen (*1965) und Cem Özdemir (*1965). Da Cem Özdemir das Kind türkischer Einwanderer ist, er also nicht in der Tradition der Generation dazwischen steht, bleibt eigentlich nur ein echter Vertreter der Generation danach übrig: Norbert Röttgen. Ein einziger von 23 Spitzenpolitikern, das ist insofern erstaunlich, da grosse Teile der Generation danach vor dem Pillenknick 1965 geboren wurden, sie also zu den Baby-Boomern gehören und man somit nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit erwarten dürfte, dass diese zahlenmässig starke Alterskohorte stärker in dieser elitären Politikerkaste vertreten wäre, zumal die nachfolgende und zahlenmässig schwächere Generation mit insgesamt sechs PolitikerInnen (einschliesslich der FDP) vertreten ist. Ein Erstaunen, das sich nur noch steigert, erinnert man sich an den jüngsten Führungswechsel an der Spitze der FDP, als Guido Westerwelle, der zwar 1961 geboren wurde aber phänotypisch wohl eher ein sehr zu spät gekommener Anti-68er ist, von Rösler (*1973), Lindner (*1979) und Bahr (*1976) beerbt wurde, die FDP somit bei der Neubesetzung ihrer Parteispitze eine ganze Generation, und zwar die Generation danach, übersprungen hat. Das ist Wasser auf den Mühlen derjenigen, die schon immer behauptet haben, die Generation danach als Generation Golf sei ichbezogen, unpolitisch, ducke sich weg und würde sich weigern, Verantwortung zu übernehmen und lieber den Wohlstand geniessen, den ihre Elterngeneration erarbeitet hat. Diese Behauptungen sind nunmehr über zehn Jahre alt und in diesen zehn Jahren nicht richtiger oder zutreffender geworden, eben weil die Generation danach, die jetzt in den Vierzigern ist, wie alle anderen Generationen sehr wohl in familiäre, wirtschaftliche, existentielle oder unternehmerische Verantwortung eingetreten ist. Dennoch scheint auch zutreffend zu sein, dass diese Generation nur wenig Neigung verspürt und verspürte, auch politische Verantwortung zu übernehmen. Daraus aber den Schluss zu ziehen, diese Generation sei unpolitisch, ist unbedacht und oberflächlich, denn wie kann eine Generation unpolitisch sein, die in der Bundesrepublik wie keine andere mit und durch Politik sozialisiert worden ist? Die im Grundschulalter war, als sich der Terror bleiern über das Land legte, dessen Ausmass, Ursache und Wirkung von den damaligen Kindern zwar nicht begriffen wurde, die aber dennoch immer wieder mit ihm konfrontiert waren, die immer wieder in die gleichen, verkniffenen Schwarzweiss-Gesichter auf den Fahndungsplakaten blickten, die immer wieder die Fassungslosigkeit ihrer Generation-dazwischen-Eltern fühlten, wenn mal wieder irgendwo eine Bombe explodierte, ein Bundesanwalt erschossen, ein toter Pilot aus dem Flugzeug gekippt, ein Politiker entführt, eine Bank überfallen wurde – die Fassungslosigkeit einer Generation, die sich der Politik, die sie in Jugendjahren ins Elend gestürzt hatte, grösstenteils entzog, die nur einmal kurz aufbegehrte, in Teilen gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Westdeutschland protestierte und sich ansonsten darauf konzentrierte, für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft zu erarbeiten, die nun massiv bedroht war durch das selbstbezogene, erbitterte Ringen zweier Generationen, die beide für sich in Anspruch nahmen, im Alleinbesitz der Wahrheit, des Rechts zu sein und es einfach und immer besser zu wissen. Als die Kinder der Generation dazwischen an den Oberschulen auf die Vertreter der Generation trafen, die ihre Eltern in diese Fassungslosigkeit gestürzt hatten, und zwar ironischerweise in Gestalt der berufsmässigen Besserwisser, fanden sie mit zuvor sensibilisiertem und jetzt erwachendem Bewusstsein Lebensentwürfe vor, die nur wenig authentisch waren, weil diese Lehrer einen gewagten und von vornherein zum Scheitern verurteilten Spagat versuchten, indem sie Kumpel-Lehrer sein wollten, aber Staatsdiener sein mussten und sich aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit einen hohlen pseudo-revolutionären Pathos erhalten mussten, aber dennoch Beamte sein wollten und somit nicht nur eigentlich den im Kern gleichen bürgerlichen Idealen anhingen wie die Generation dazwischen. So lernte die Generation danach die Vertreter derjenigen Generation kennen, die ihre Eltern in Fassungslosigkeit versetzt hatten: im Grunde Karikaturen, die im Hochgefühl, dass die Schlacht geschlagen war und es jetzt eigentlich nur noch darum ging, das richtige Müsli politisch korrekt einzukaufen, blindlings in ihre selbst gestellte Glaubwürdigkeitsfalle gelatscht waren.

Ich glaube, denn wissen kann ich es nicht und schon gar nicht beweisen, dass die Generation danach oder wir oder auch nur ich auf die Konfrontation mit diesem Glaubwürdigkeitsdefizit der 68er mit einer doppelten Verneinung reagierten, das meint nicht die Verneinung der Werte der 68er, also die ideelle Restauration des Miefs der 50er Jahre oder gar die Rehabilitation der Tätergeneration, sondern die Verneinung dessen, was durch die 68er auch verneint wurde, aber auch die Verneinung der Art und Weise, wie die 68er verneint hatten. Ich glaube, dass vieles an der Art und Weise, wie die 68er verneinten, die Generation danach eher abgestossen hat. Uns missfiel das Belehrende, das sich im Alleinstbesitz der Wahrheit Wähnende, das Agitierende, das hochfahrend Fordernde, die Selbstgewissheit und ja: auch die Selbsgerechtigkeit unserer Vorgänger-Generation. Das mag damit zusammenhängen, dass der Protest der 68er im Kern eigentlich immer nur ein normaler Generationenkonflikt blieb, eine Identitätsfindung der Jugend, die sich an ihren Eltern und von ihren Eltern abarbeitet und ablöst, ein Prozess, den jede Generation für eine gelungene Sozialisation zu durchlaufen hat, der aber für diese Generation der 68er hochgradig emotional aufgeladen war, da sie sich nicht nur von ihren Eltern ablösten, diese verneinen mussten, sondern es für ihre gelungene Ablösung auch notwendig war, sich mit der Tätergeneration, die ihre Eltern waren, auseinanderzusetzen. Eine ungeheure, eine doppelte Aufgabe, die sie anscheinend zwang, in diesem Prozess, der Verneinung einer Eltergeneration, die über alle Grenzen hinausgegangen war, ebenfalls über alle Grenzen hinauszugehen, sich von den Werten ihre Eltern weiter und weiter zu entfernen, sie entschiedener und wilder zu verneinen, als alle Generationen vor und nach ihr, um endlich und irgendwann in einer Identität zur Ruhe zu kommen, die eigentlich und immer bürgerlich geblieben war, aber dennoch auch immer ihre eingebildete Besonderheit behaupten musste, was gerade der Generation danach ziemlich auf die Nerven ging, da uns diese besondere emotionale Komponente des Identitätsfindungsprozesses völlig fehlte. Wir sind die Kinder einer skeptischen Generation und wir waren die Schüler der 68er Generation und wurden eine ernüchterte Generation, die jedem hochfahrendem Gestus misstrauten, ihn zuweilen bespöttelten, da wir geprägt durch eine pragmatische Elterngeneration die Glaubwürdigkeitsdefizite der 68er entlarven mussten, und so auch lernten, dass ein Postulieren von grossen Idealen, das Deklamieren von edlen Zielen fast zwangsläufig immer in einer Glaubwürdigkeitsfalle enden muss und dass je grösser die postulierten Ziele und je edler auch die deklamierten Ideale sind, desto grösser auch die zwangsläufige Fallhöhe sein wird und dass je grösser diese Fallhöhe, desto jämmerlicher danach auch das Bemühen des Kaschierens einer Glaubwürdigkeitslücke, die man nach dem programmierten Absturz im schlimmsten Fall sein ganzes Leben lang mit sich herum tragen muss. Die Generation danach wollte keine Führer (auch keine Studentenführer), wollte keine Bewegung sein, wollte nicht in der geschlossenen Formation einer Generation rebellieren – wollte nicht deklamieren, nicht postulieren und wollte nur Generation sein, die keine Generation ist, die gleichsam getarnt durch ihr Jahrzehnt des gesellschaftlichen Theaterlichts marschiert, am besten ohne überhaupt jemals als Generation wahrgenommen zu werden.

Eine Haltung, die damals sicher nicht reflektiert worden ist von den Vertretern dieser Nicht-Generation, die keine Vertreter hatte, und die sich in Konfrontation mit ihren Lehrern instinktiv dazu entschloss, sich nicht zu wichtig zu nehmen, da im Sich-Zu-Wichtig-Nehmen eben auch immer eine Gefahr verborgen liegt, die nur bedingt durch das Mittel der Selbstironie entschärft werden kann, weshalb auch gerade die Ironie immer die wirksamste Waffe gegen die überbordende Wichtigkeit ihrer Vorgängergeneration gewesen war. Diese instinktive oder angelernte Grundüberzeugung der Generation danach sollte im Verlauf der nächsten Jahre zweimal eindrucksvoll bestätigt werden, zunächst aber geschah unerwartet Ungeheuerliches, 1985 wurde Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU, 1989 fiel die Mauer, 1990 erfolgte die Wiedervereinigung, 1991 wurde der Warschauer Pakt, das Militärbündnis des Ostblocks, aufgelöst. Unsere Generation-dazwischen-Eltern sassen gerührt mit feuchten Augen vor der Glotze, während wir erst langsam begriffen, wenn wir überhaupt damals darüber nachgedacht haben, welche Auswirkungen diese Ereignisse auch für uns haben würden.

Die Bundestagswahl 1987 bestätigte die schwarz-gelbe Bundesregierung. Helmut Kohl blieb Kanzler, wenn auch seine CDU mit 4,5% die grössten Verluste hinnehmen musste. Die Grünen gewannen 2,7 Prozentpunkte, kamen insgesamt auf respektable 8,3%, während die SPD mit dem Spitzenkandidat Johannes Rau 37% der Stimmen erreichte. Nicht nur nach dem Willen eines Mannes, Oskar Lafontaine, sollte die Bundestagswahl 1987 die letzte Wahl zwischen zwei Spitzenkandidaten der Generation dazwischen gewesen sein, bereits bei der nächsten Wahl wollte er selbst gemeinsam mit den Grünen für die 68er nach der Macht greifen, ein Unterfangen, das nach Erkenntnis der Demoskopen bis etwa Anfang 1989 nicht unbedingt unrealistisch war, lähmte doch die Bräsigkeit der wiedergewählten Regierung die weitere Entwicklung der Bundesrepublik Westdeutschland zunehmend. Die Regierung Kohl war 1988/89 eigentlich am Ende, hätte die Wahl 1990 sehr wahrscheinlich nicht überlebt, wenn eben nicht die Deutsche Einheit dem Kanzler in den Schoss gefallen wäre und der Spitzenkandidat der SPD nicht den groben taktischen Fehler begangen hätte, lange Zeit gegen die schnellstmögliche Wiedervereinigung zu polemisieren, weshalb er dann von Kohl und dessen Zehn-Punkte-Plan für die Wiedervereinigung in einem bis dahin nicht für möglich gehaltenen Anfall von kohlschem Aktionismus faktisch überrollt wurde. Die Wahl 1990 ging für 68 verloren und markierte somit auch symbolisch einen Bruch in der weiteren Entwicklung der 68er Bewegung, deren Drehbuch es eigentlich vorgesehen hatte, dass ihre institutionalisierten Vertreter, Rot-Grün, die Regierungsverantwortung übernehmen sollten. Dass daraus 1990 und auch 1994 nichts wurde, hatte seinen Grund in dem Zusammenbruch des Ostblocks. Der zweite Weltkrieg, die Welt, wie wir sie kannten, war zu Ende, der kalte Krieg, die Gärhefe der 68er Bewegung, mit einem Mal Geschichte.

Wenn eine Generation doppelt verneint, sie auf Anführer verzichtet, sie nicht Bewegung sein will, dann will sie sich auch nicht artikulieren. Und wenn sie sich nicht artikulieren will, dann muss sie sich einen anderen Ausdruck suchen oder ein anderer Ausdruck muss sie suchen, so wie sich schon eine andere Generation, die amerikanische Generation Rock’n Roll, nicht artikulieren konnte und dennoch ab Mitte der 50er von einem anderen Ausdruck gesucht und gefunden wurde. Anfang der 90er deutete jedoch wenig darauf hin, dass sich dieser Ausdruck auch für die Generation danach würde finden lassen. Der musikalische Mainstream wurde von dem üblichen Zeitgeist-Pop beherrscht und vielleicht ergänzt durch Hip Hop und Techno, die damals endlich ein breiteres Publikum fanden. Selbst die „Hymne der Wende“ ward 1990 bereits gefunden und zwar in einem Pfeiflied der Scorpions namens „Wind of Change“, das damals schon so furchtbar war, dass es heute kaum einer mehr hören kann. Die Lage, so wie sie sich der Generation danach aus heutiger Sicht und in dieser Fragestellung bot, war eigentlich hoffnungslos. Wenn es aber stimmt, dass der Rock’n Roll ein Kind des kalten Krieges war, dass er von Anfang an politisch bekämpft und selbst zum politischen Kampfinstrument, zur Gegenkultur wurde, die einer aufbegehrenden Jugend durch alle Jahrzehnte des kalten Krieges hindurch immer wieder neue Ausdruckmöglichkeiten an die Hand gab, da sie sich durch eine Gegenkultur in der Gegenkultur immer wieder regenerierte, die den ursprünglichen Geist des Rock’n Rolls bewahrte und durch die Generationen trug, dann musste ein solcher Ausdruck auch für die Generation danach fast zwangsläufig zu finden gewesen sein, dann musste Pandora, jetzt, da die Mauer gefallen war und mit der Geschichte des kalten Krieges auch die Geschichte des Rock’n Rolls, so wie wir ihn kannten, zu Ende ging, die Büchse ein zweites und letztes Mal öffnen, um dem Rock’n Roll die Hoffnung hinterher zu senden.

Es gibt Lieder, die treffen den Nerv ihrer Zeit und es gibt Lieder, die treffen den Nerv einer besonderen Zeit und dann gab es ein Lied, das traf den Nerv einer besonderen Zeit, indem es selbst diese Zeit abschloss und dieses Lied war oder ist „Smells Like Teen Spirit“. Als der kalte Krieg in die Geschichte kippte, sich dieser Kreis schloss, hatte der Rock’ n Roll schon lange nicht mehr das Monopol auf die alleinige Gegenkultur der Jugend. Der Rock’n Roll war zwar der Soundtrack des kalten Krieges, aber in den 80ern genügsam, wenn nicht sogar langweilig, weil poppiger geworden, es existierte im Mainstream ein Nebeneinander von alten Dinosauriern aus den 60ern, den 70ern, die sich in den 80ern immer wieder selbst zitierten, dem Rock’n Roll nichts wesentlich Neues mehr hinzufügen konnten, ebenso wie ihre Kollegen von der Hardrock oder Glam-Metal-Fraktion oder die originär 80er Jahre Rockbands, die in ihrer Musik irgendetwas ausdrücken wollten, was irgendjemand New Wave nannte und die zu Recht grösstenteils heute vergessen sind. Wenn der Rock’n Roll also eine Antwort geben musste auf das Ende einer geschichtlichen Periode, die auch das Ende seiner Geschichte war, dann konnte diese Antwort unmöglich durch den etablierten Rock’n Roll erfolgen, da diese Antwort, wenn sie denn den Kreis der eigenen Geschichtlichkeit schliessen wollte, gerade auch den etablierten Rock’n Roll in der Tradition des kalten Krieges verneinen musste. Genauer, die Antwort musste zweierlei leisten, sie musste die Gesellschaft des kalten Krieges als auch den etablierten Rock’n Roll, der sich als Gegenkultur zu dieser Gesellschaft entwickelt hatte, verneinen. Sie musste doppelt verneinen.

Im September 1991, wenige Wochen vor der Veröffentlichung von „Nevermind“, tourten Sonic Youth durch Europa, begleitet von einigen Bands, u. a. Dinosaur Jr., Babes in Toyland und auch Nirvana, die alle dem Spektrum des sogenannten Indie-Rocks angehörten. Im Film „1991: The Year Punk Broke“, der im September 2011, also zwanzig Jahre danach auf DVD erschien, werden die Ereignisse dieser Tour, onstage und backstage, dokumentiert. Diese Aufnahmen so kurz vor dem Erscheinen von Nevermind zeigen eigentlich einen 95minütigen Kindergeburtstag, junge Musiker, die miteinander Spass haben, sich gegenseitig veralbern und ab und zu auch Musik machen. Der Titel des Films ging zurück auf einen Witz des Filmemachers, der zusammen mit Bandmitgliedern von Sonic Youth bei MTV ein Musikvideo sah, in welchem ausgerechnet Mötley Crüe „Anarchy in the U.K.“ von den Sex Pistols coverten. „1991 ist das Jahr, in dem der Punk der Durchbruch gelingt.“ witzelte David Markey und schuf damit einen Running Gag, der während der Tour ständig wiederholt wurde, vermeintlich wohlwissend, dass dem niemals der Fall sein könnte.

Die wohl kommerziell erfolgreichste Spielart des Metals in den 80er Jahren war der sogenannte „Glam Metal“. Wie der Name schon sagt, legten die Vertreter dieses Genres, wie beispielsweise eben Mötley Crüe, grossen Wert auf ein glamouröses Outfit. Die langen Haare waren meistens gefärbt, nicht selten blondiert, oft auch toupiert oder mit dem Fön voluminiert, die Gesichter geschminkt und die Klamotten zumeist hauteng und gerne auch in effektvollen Farben, Mustern und Schnitten. Vom Look her also irgendwo zwischen Barbie und den Chippendales, war der musikalische Mehrgewinn des Glam Metals eher minimal, amerikanische Plattenfirmen schmissen aber dennoch massenhaft Bands dieser Art auf den Markt, teilweise Retortenbands, schnell gecastet, dann zum Hairstylisten geschickt und anschliessend zum Videodreh beordert. Die Videos waren zumeist genauso einfallsreich wie der musikalische Output, da sie fast alle ein und demselben Drehbuch folgten. Die Bandmitglieder mimten theatralisch aufgedonnert einen Liveauftritt ohne Livepublikum, Bassist und Gitarrist schwenkten die Gitarrenhälse mal lasziv oder provokativ als Phallusverlängerung vor sich her, der Drummer malträtierte sein Schlagzeug auf das Äusserte, der Sänger gab sich alle Mühe zu beweisen, dass man auch ohne Eunuch zu sein im Falsett singen kann, manchmal gab es dann noch ein wenig Pyrotechnik, aber immer und unweigerlich schritt irgendwann die leicht bekleidete Damenwelt, Marke Californian Dreamgirl, ins Bild und schmachtete die vier oder fünf Clowns unter Make-up und Mascara hinternkreisend an. Diese Art des Rock’n Rolls als seine eigene billige und kommerzielle Karikatur war in ihrem ganzen Auftreten so provozierend, dass der Glam Metal früher oder später durch die Gegenbewegung in der Gegenbewegung angegriffen werden musste und interessanterweise bediente sich dieser Angriff, als er dann erfolgte, ausgerechnet des Universaldrehbuches der Glam-Metal-Videos, allerdings, indem es dessen Regieanweisungen spiegelbildlich in das Negative verkehrte. Das Video zu „Smells Like Teen Spirit“ ist sattsam bekannt, es zeigt die Band, die in einer Schulsporthalle einen Liveauftritt mimt in Strassenklamotten vor einem jugendlichen Livepublikum, die Damen sind keine Californian Dreamgirls sondern eher dunkle Cheerleader, die zumeist im Schatten agieren, das rote Anarcho-Zeichen auf ihren schwarzen Kleidern tragen und auch nicht die Musiker anschmachten sondern zu Beginn eher linkisch versuchen, ein anfangs skeptisches Publikum anzufeuern. Kurt Cobain zieht mit fettigen Haaren während sein Gitarrensolo zu hören ist ostentativ eine neue Saite auf seine Gitarre, bevor am Ende alles im Chaos endet, das Publikum die Bühne stürmt und alle, Band, Cheerleader und Publikum orgiastisch tanzen oder wahlweise das Equipment zerstören. Dieses Video war eine Verneinung, die den Glam Metal mit voller Wucht traf, ein Schlag, von dem er sich nicht mehr erholen sollte, und das, was ihn traf war neben der Musik die Tatsache, dass Nirvana dieser Fratze des Rock’n Rolls mittels dieser Bilder den Spiegel vorhielt und wir verstanden, dass sie dazu auch eine Berechtigung besassen, da sie etwas hatten, was dieser Rock’n Roll des kommerzialisierten Mainstreams niemals und zu keinem Zeitpunkt hatte und das war eine unbedingte Glaubwürdigkeit. 1991 war das Jahr, als dem Punk der Durchbruch gelang, als die Gegenbewegung in der Gegenbewegung endlich den Mainstream überwand, und der Punk, dieser kleine, schmuddelige Bruder der „offiziellen“ Gegenkultur, die in der Tradition der 68er Mucke stand aber jetzt vollständig durch den Kommerz aufgesogen worden war, just zu dem Zeitpunkt als der historische Fixpunkt dieser 68er Bewegung in die Geschichte kippte auch deren Gegenkultur selbst in die Geschichtlichkeit kickte, indem er auf die Bühne kletterte, die Gitarre in den Verstärker stöpselte und die Worte in das Mikro schrie, die in den Ohren einer doppelt verneinenden Generation, die immer eine Generation nach einer dominierenden Generation geblieben war und deshalb auch immer im vergleichenden Bezug zu dieser Vorgängergeneration stand, auf vorbereiteten und fruchtbaren Boden fielen, da diese Worte eben diesen vergleichenden Bezug abschnitten und der Generation danach, die keine Generation sein wollte, ihren einzig möglichen Ausdruck gaben:

With the lights out, it’s less dangerous
Here we are now, entertain us
I feel stupid and contagious
Here we are now, entertain us*

Ich denke, das war der Grund für den Erfolg von „Smells Like Teen Spirit“, dass sich in diesem Lied verschiedene Kreise endlich schlossen. Dass die Gegenkultur in der Gegenkultur diese nicht mehr erneuerte, indem sie sie inspirierte, sondern sich ihr verweigerte und selbst zur alleinigen Gegenkultur einer neuen Zeit nach 68, nach dem Kalten Krieg wurde, eine neue Gegenkultur, welche die alte ablöste und nur ablösen konnte, wenn sie sie so entschieden verneinte, wie nur der Punk zu verneinen vermochte. „Hier sind wir jetzt, unterhaltet uns. Ich fühle mich dumm und ansteckend.“ behauptete einen eigenen Anspruch, der nicht mehr in der Tradition der 68er Protestmusik stand sondern gerade diese Tradition veralberte, indem er nichts anderes proklamierte und deklamierte als sich selbst. Keine verlogenen Ideale mehr, keine Weltverbesserung zur eigenen Selbstbeweihräucherung, keine Sexuelle Revolution für eine schnelle Verfügbarkeit und Kommerzialisierung des Sexes, kein Marsch durch die Institutionen ins eigene Reihenhaus, kein Love and Peace – stattdessen die letzte Strophe:

And I forget just why I taste
Oh yeah, I guess it makes me smile
I found it hard, it’s hard to find
Oh well, whatever, nevermind*

Dieses Lied war zweierlei, es war die Katharsis des Rock’n Rolls und der Ausdruck einer Generation, die sich an den 68ern abgearbeitet hatte oder von ihnen abgearbeitet wurde, die mit und durch Politik (über)sozialisiert worden war, sich an ihr ernüchterte und sich nun misstrauisch als auch emphatisch von ihr abwandte, gerade so wie Kurt Cobain dem letzten Refrain neunmal die Worte „a denial“ hinterher schrie. Dieses Lied war gleichzeitig aber auch eine Wegmarke, die das Ende des Rock’n Rolls markierte oder, wenn man so will, seinen letzten magischen Moment. Damals dachte ich vielleicht, dass diesem magischen Moment noch viele weitere Momente folgen würden. Heute jedoch, nach zwanzig Jahren, weiss ich, dass dem nicht der Fall war, dass nichts mehr folgte, es gab zwar in den letzten zwanzig Jahren eine Menge guter Musik, aber nichts mehr von vergleichbarer Relevanz für eine Jugend in ihrem Jahrzehnt der „Generation“. Dass dem so war, hing auch mit der Art und Weise zusammen, wie Nirvana verneint hatte.

1994, am 5. April, beging Kurt Cobain Selbstmord. Bald darauf stand in der Spex zu lesen (und ausnahmsweise war es mal allgemeinverständlich formuliert), dass Cobain der erste MTV-Tote gewesen sei, ein Rockstar, der kein Rockstar sein wollte, aber von MTV wieder Willen zu einem gemacht wurde, und der sich dem Zugriff der Vermarktungsmaschinerie trotzdem immer zu verweigern suchte und als diese Unmöglichkeit nicht gelang, sich ihr „folgerichtig“ ultimativ entzog. Im Abschiedsbrief Cobains steht zu lesen:

„Ich fühle mich unbeschreiblich schuldig deswegen. Zum Beispiel, wenn wir backstage sind, das Licht ausgeht und die Menge manisch zu brüllen beginnt. Das berührt mich nicht so, wie es Freddie Mercury berührte, der es anscheinend liebte, in der Liebe und Anbetung der Menge aufzugehen, was etwas ist, das ich bewundere und um das ich ihn beneide. Der Punkt ist, dass ich euch nicht zum Narren halten kann, keinen von euch. Das grösste denkbare Verbrechen wäre für mich, die Leute abzuzocken, indem ich behaupte oder so tue, als hätte ich 100% Spass. Manchmal denke ich, ich bräuchte eine Stechuhr bevor ich raus auf die Bühne gehe.“

Die Gegenkultur in der Gegenkultur bezog ihre Daseinsberechtigung aus der Verneinung einer etablierten Gegenkultur, in deren Schatten sie nur gedeihen konnte. Die eigentliche Kraft der Verneinung von „Smells Like Teen Spirit“ lag deshalb in der absoluten und unbekümmerten Glaubwürdigkeit, die dem etablierten Rock’ n Roll die Maske vom Gesicht riss und den Kommerz dahinter für alle sichtbar machte. Der Preis, den die Gegenkultur dafür zu zahlen hatte, war der Erfolg, der sie selbst zum Kommerz werden liess, woraufhin die Glaubwürdigkeit früher oder später kollabieren musste. Der Skeptizismus der Generation danach hatte zum ersten Mal recht behalten, nicht nur das Formulieren von Idealen sondern auch das Formulieren von Nicht-Idealen kann eine beträchtliche Vergrösserung der Fallhöhe zur Folge haben, wenn es, das Formulieren, in Glaubwürdigkeitsfallen gerät, die sich auch wider Willen stellen können, zumal Cobain die einzige Waffe dieser Gefahr wirksam zu begegnen, die Selbstironie, offensichtlich fehlte.

Der ungeheure Erfolg von Nirvana hatte die Balance der beiden ungleichen Brüder des Rock’n Rolls zerstört. „Smells Like Teen Spirit“ war jetzt selbst Mainstream, aus einem Gegeneinander, dem bestimmenden Kennzeichen des Rock’n Rolls des kalten Krieges, wurde ein Mit- oder Nebeneinander unterschiedlicher Stilrichtungen des Rock’n Rolls, der seine gesellschaftliche Relevanz endgültig verbraucht hatte.

1998 gewann 68 endlich ihre Bundestagswahl, Schröder und Fischer, Rot-Grün, waren in Regierungsverantwortung. Und auch wenn vieles, was an Politik dann folgte, vielleicht dem Zeitgeist zu schulden war, so ist es dennoch bemerkenswert, dass ausgerechnet diese Regierung den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr verantwortete, die Agenda 2010 auf den Weg brachte, eine konzernfreundliche Wirtschaftspolitik wie von Piëchs Gnaden betrieb, die letzten Deregulierungen der Finanzmärkte vornahm und damit die Ideale ihrer Jugend so gründlich verriet, wie man Ideale gründlicher nicht verraten kann.

* Songwriters: GROHL, DAVID / COBAIN, KURT D. / KRIST, NOVOSELIC. Smells Like Teen Spirit lyrics © Warner/Chappell Music, Inc., EMI Music Publishing, Sony/ATV Music Publishing LLC.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse eine Antwort